Archive for the ‘Definitionen’ Category

Verwirrung zwischen der Methode Vor-Lesung und der Sozialform Frontalunterricht innerhalb der Lehrveranstaltungsart Vorlesung

Daran, dass es nie nicht keine einheitliche Definition von irgendwas in der Literatur gibt, kann man sich vielleicht irgendwann gewöhnen. Worüber ich aber neuerdings jedes Mal stolpere, ist die irrtümliche Verwendung der Begriffe Methode und Sozialform im Zusammenhang mit den Wörtern Vorlesung und Frontalunterricht. Nach Methode kann hier nur Vorlesung, nach Sozialform nur Frontalunterricht folgen. Aber nie nicht und niemals die Kombination aus Methode und Frontalunterricht. Warum? Weiterlesen

Int19_IP16_Doz10 (1): Ein Profi unter Experten

Nach dem ersten Audit (hier) musste ich den Expertenbegriff von Leo Roth (1977) genauer definieren, weil mir „Dozenten“ allein nicht mehr ausreichend für meine Fragestellung erschien. Die zukünftigen Expertinnen und Experten sollten nun neben didaktischen Kenntnissen auch verschiedene Methoden in ihren Vorlesungen anwenden und als Sahnehäubchen einen Hauch von Spielerfahrung besitzen. Solche Experten zu finden, dauert natürlich. Nach vier Monaten Suche traf ich jedoch auf einen Profi, der diese Ansprüche mehr als erfüllen konnte. Der Expertenstatus dieser Interviewperson (IP) trägt z. B. folgende Kennzeichen: Weiterlesen

Hörsaalspiele im Flipped Classroom

Die ganze Sache fing Ende Januar diesen Jahres mit dem Vorschlag von Christian Spannagel an, ein Paper über Hörsaalspiele bei der GMW14 einzureichen, um den Begriff zu erklären. Verstanden hatte ich an diesem Satz damals: Mal kurz und knapp etwas über (den Begriff) Hörsaalspiele schreiben. Das hielt ich für eine gute Idee, außerdem schreibe ich gern. Janna war auch sofort dabei und es dauerte nur ein paar Minuten, bis mir die ersten Fragen durch den Kopf schossen: Weiterlesen

Welche Ziele hat die Vorlesung?

Ursprünglich wollte ich an dieser Stelle ‚mal schwungvoll darstellen, welche Spiele für jeweils unterschiedliche Lern- und Lehrziele in der Vorlesung geeignet sein könnten. Prompt stehe ich vor dem Problem, dass ich gar nicht weiß, welche Ziele mit der Vorlesung, i. S. v. Vortrag, verbunden werden. Tenorth & Tippelt (2012) beschreiben „Lernziele“ als „Konkretisierung von Richtzielen“ (S. 489). Weiterlesen

Oerter: Zur Psychologie des Spiels

Es ist schon seltsam, dass ich bei der Suche nach Literatur auf viele Texte treffe, die von Psychologen geschrieben wurden, jedoch noch keine Überlegungen von Pädagogen zu dem Thema gefunden habe. Im Aufsatz von Oerter geht es u. a. um die Spiele der Erwachsenen, den Sinn des Spiels und verschiedene Spielformen. Außerdem versucht der Autor, die Begriffe „game“ und „play“ voneinander abzugrenzen und die Entstehung von Spielregeln zu beschreiben. Ausgesprochen interessant sind seine Hinweise zum Sozialspiel in Großgruppen sowie seine Ansichten zum Verhältnis von Arbeit und Spiel. Letztlich hat mich seine Schlußfolgerung davon überzeugt, auf dem richtigen Weg zu sein: Das Spiel lässt „sich zwar hemmen, aber nicht verdrängen“ (S. 17).

Rolf Oerter (2007) hält wie Groos das Spiel „in allen Kulturen“ als „tief verwurzelt im menschlichen Dasein. […] Dabei werden Tätigkeiten spielerisch ausgeübt, die in der betreffenden Kultur im Zentrum der Lebensführung stehen“ (S. 1). Nicht neu, aber vielleicht als Quelle nützlich: „Auch im Erwachsenenalter verschwindet das Spiel in den verschiedenen Kulturen nicht“ (ebd). Die vom Autor beschriebenen Zusammenhänge von Wettbewerbsgesellschaft und „Regelspielen mit Wettbewerbscharakter“, „strenger Primärsozialisation und Strategiespielen sowie zwischen Unterdrückung persönlicher Initiative und Glaube an wohlwollende übernatürlich Kräfte auf der einen und Glücksspiel auf der anderen Seite“ (ebd.) gehen endlich über die Betrachtung des Spiels als Tätigkeit von Kindern hinaus.

Eine Definition des Begriffes „Spiel“ wird im Text umgangen, w.z.e.w. Ebenso unklar bleibt für mich an dieser Stelle der Versuch, zwischen „play“ und „game“ zu unterscheiden. Der Autor zählt zu den Merkmalen des Spiels 1. den „Selbstzweck des Spiels (Handlung um der Handlung willen)“, wozu der Floweffekt gehört, 2. „Wechsel des Realitätsbezuges“, 3. „Wiederholung und Ritual“ sowie 4. den „Gegenstandsbezug“: „Der solitäre oder soziale Umgang mit Gegenständen und deren phatasievolle Umdeutung stellt daher ein wesentliches Merkmal der Spiels dar“ (S. 2). Die Meinung Oerters über „Arbeitshandlungen“ kann ich noch nicht teilen.

Über „die Valenzebenen des Gegenstandes“ (subjektiv, objektiv, abstrakt) führt Oerter zum Begriff „Arbeit“. Gibt es ein besseres Argument dafür, dass Arbeit und Spiel gar nicht weit auseinander liegen?

„Abstrakte Valenz in Form der Vereinigung aller Gegenstände in einem Handlungstypus findet sich in der Arbeit, spezieller im Leistungshandeln, weiterhin in Formen des Tausches (Kaufen, Verkaufen) und im Spekulieren an der Börse“ (S. 3).

Noch habe ich keine Antwort auf die Frage, warum das Spiel in den Hörsaal gehört. Vielleicht hilft die folgende Überlegung:

„Die Frage nach dem Sinn und der Basismotivation des Spiels darf nicht mit dessen möglichen Funktionen (Übung, Lernen, Erholung, soziale Interaktion) verwechselt werden, denn Kinder (und Erwachsene) spielen nicht, damit sie üben, lernen oder sich erholen. Was liegt also hinter dem Spielverhalten?“ (S. 4).

Oerter bezieht sich im Text auf die Theorien der Psychologen Freud („Wunscherfüllung und Katharsis“), Wygotzki („Realisation unrealisierbarer Wünsche“) und Piaget („Assimilation als Gegenwehr“), (S. 3ff). Die Zusammenfassung bringt jedoch nicht das gewünschte Ergebnis: „Damit weisen die drei wohl bedeutendsten Entwicklungspsychologen dem Spiel einen tieferen Sinn zu: Es übernimmt Aufgaben der Lebensbewältigung zu einem Zeitpunkt, da andere Techniken und Möglichkeiten noch nicht zur Verfügung stehen“ (S. 5). Kann das auch auf Studenten zutreffen?

Im Abschnitt „Tätigkeitstheorie und Sinn des Spiels“ bezieht sich Oerter auf die drei Handlungsebenen (Tätigkeit, Handlung, Operation) nach Leontjew. Es gibt demnach einen Sinn hinter dem eigentlichen Spiel:

Die Tätigkeitsebene bildet den übergeordneten Rahmen, innerhalb dessen Handlungen und Operationen zum Einsatz gelangen. Diese Ebene ist zugleich die Sinnebene. Für das Spiel bedeutet das, dass nicht die sichtbare Handlung[…] den eigentlichen Sinn des Spiels ausmacht, sondern die dahinterliegende „Tätigkeit“. Sie wurde auch als Übergeordneter Gegenstandsbezug bezeichnet“ (S. 6).

Dem Aktivierungszirkel nach Heckhausen als Begründung für Spiele im Hörsaal stehe ich noch etwas skeptisch gegenüber. Oerter erwähnt ihn, wie andere Autoren auch. Das „Lustprinzip“ leuchtet mir zwar völlig ein, aber reicht das als Grundlage? Ich brauche mehr:

„Allgemein kann [man den] Sinn des Spiels in seiner existenzsichernden und existenzsteigernden Wirkung erblicken. Sie zeigt sich u.a. als

(1) Aktivierungszirkel im Spiel,

(2) intensiver Austauschprozess zwischen Person und Umwelt,

(3) Bewältigung spezifischer Probleme und

(4) Bewältigung entwicklungs- und beziehungsrelevanter Thematiken“ (ebd.).

Die Punkte zwei bis vier hingegen verleiten mich zu der Annahme, eine Begründung für die zahlreichen Aufrufe der „Klausurspiele“ gefunden zu haben. Das wollte zwar außer mir niemand wissen, ließe sich aber direkt auf die „Hörsaalspiele“ übertragen: Wenn Studenten die Kontrolle im und über das Spiel behalten, können sie in der Klausur bessere Ergebnisse erzielen. Das müsste man beweisen können und die Spiele wären im Hörsaal! Oerter setzt die Formulierung „existenzsteigernde Wirkung“ mit dem Begriff „Realitätsbewältigung“ (Nachspielen und Transformation der Realität sowie Realitätswechsel) gleich und bezieht dabei auch die „Neuen Medien“ ein, zum Beispiel Computerspiele (S. 8).

Zur Unterscheidung der Spielformen schreibt Oerter:

„Generell lassen sich in der Entwicklung typische Spielformen unterscheiden, die in einer festen Reihenfolge auftauchen: sensomotorisches Spiel, Exploration (wird von manchen Autoren nicht zum Spiel gerechnet), Symbolspiel oder Als-ob-Spiel, Konstruktionsspiel, Rollenspiel und Regelspiel. Alle diese Spielformen dienen trotz ihrer Verschiedenartigkeit dem übergeordneten („Tätigkeits“-)Ziel der Lebensbewältigung und Existenzsteigerung“ (S. 9).

Aus dem ersten Reflex heraus wollte ich die Erklärungen der Spielformen als unnütz für das Thema verwerfen. Sie beziehen sich schließlich auf die Entwicklung von Kindern. Bei näherer Betrachtung liegt jedoch die Übertragung auf Studierende im Bereich des Möglichen. So sind die Handlungskomponenten (Akteur, Spielhandlung und -gegenstand) generelle Bestandteile des Spiels (S. 9). Alle Formen des Spiels sind demnach derzeit für mich denkbar für den Einsatz im Hörsaal – mit den sog. Neuen Medien! Die Handlungswiederholungen aus dem sensomotorischem Spiel oder die Übertragung (Symbolspiel) als „beträchtliche kognitive Leistung“ sind überlegenswerte Beispiele dafür (S. 10). Noch deutlicher werden die Einsatzmöglichkeiten, wenn Oerter über das Rollenspiel, genauer das Sozialspiel, schreibt und dabei Bezug auf die Großgruppe nimmt:„Das Zusammenspiel zu Zweien oder in einer größeren Gruppe erfordert die Fähigkeit der Beteiligten, sich auf einen gemeinsamen Gegenstand (ein Spielzeug, einen Spielrahmen, ein Spielthema) zu beziehen“ (S. 11). Aber es gibt auch eine Einschränkung: „Gegenstände, die für den gemeinsamen Gebrauch hergestellt worden sind, eignen sich daher für das Sozialspiel einfachster Form am besten“ (ebd.). Es müsste demnach ein „Spielzeug“ mit „objektiver Valenz“ eingesetzt werden, das ein Zusammenspiel in der Großgruppe ermöglicht.

Bei der Definition von Regelspielen wird es noch einmal spannend. Ausgerechnet ein Spiel nur für Erwachsene?

„Im Englischen werden Regelspiele schon sprachlich von anderen Spielen abgegrenzt (game vs. play), was zum Ausdruck bringt, dass Regelspiele einer gesonderten Betrachtung bedürfen. Regelspiele scheinen in den Kulturen zunächst bei den Erwachsenen aufzutauchen und haben dort eine wichtige Funktion bei der Bewältigung gesellschaftlicher Konflikte“ (S. 13).

Sehr interessant sind die Ausführungen zur Entstehung von Spielregeln. Nach Piaget gibt es „drei Stadien des Regelbewußtseins“ bei Kindern (eigene Entwürfe ohne Regelbewusstsein, egozentrische und abwandelbare Regeln (S. 13). Demnach sind abwandelbare Regeln

„das Ergebnis von Vereinbarungen. Die Regeln können geändert werden, wenn die Teilnehmer sich darauf einigen. Sie sind im Laufe der Zeit entstanden und werden nach Bedarf auch abgewandelt. Regelverständnis ist durch die wechselseitige Kooperation gekennzeichnet und nicht mehr, wie zuvor, durch die einseitige Richtung autoritärer Festlegung“ (ebd.).

Falls sich jemand mit der Entwicklung von Spielregeln beschäftigen möchte: Die Untersuchungen von Elkonin (1980) zur „Internalisierung von Spielregeln“ bei Kindern werden anschaulich auf S. 14 beschrieben. Die nächsten Ausführungen weisen u. a. auf ein weiteres Differenzierungsproblem hin: 

„Viele Spiele bilden Mischformen der oben beschriebenen Grundeinteilung. So ist „Mensch ärgere dich nicht“ und Kartenspiele verschiedenster Art eine Mischung zwischen Glücksspiel und Regelspiel. Kartenspiele verbinden Strategie, mit Glücksspiel und Regelspiel. Sportspiele, wie Fußball und Handball vereinen sensumotorisches Spiel mit Strategie und Regel. Ergänzende Einteilungen werden auch nötig, wenn man Computerspiele mit einbezieht (Fritz, 1995). Sie sind zum Teil reine sensomotorsiche Spiele, zum anderen Teil Mischungen aus Als-ob-, Rollen- und Regelspielen (Abenteuerspiele). Prinzipiell anders ist jedoch bei diesen Spielformen, dass sie von außen gelenkt werden und nicht mehr das Kind selbst Spielinitiator ist“ (S. 14).

So, und jetzt hab‘ ich’s endlich: Arbeit und Spiel werden miteinander verbunden.

„Es wäre verkürzt, wenn man Spiel nur als Phänomen der Ontogenese des Menschen betrachten würde. Die Rolle des Spiels als schöpferische Kraft in der Kultur ist ebenso bedeutsam wie in der individuellen Entwicklung […]. Im Erwachsenenalter wird das Spiel […] in kulturelles Schaffen transformiert. Die einzelnen Spielformen, wie sie typischer Weise in der kindlichen Entwicklung in einer bestimmten Reihenfolge auftreten, gehen nicht verloren, sondern münden in kulturelle Tätigkeiten. Produktive Arbeit enthält stets Spielelemente, die kreative Leistungen ermöglichen und gleichzeitig Reaktanz und Ermüdung herabsetzen. Die großen Handlungsfelder der Kultur, wie Kunst, Musik, Literatur, Theater und Sport setzen einzeln und kombiniert Spielformen der Kindheit fort. Aus sensomotorischem Spiel entfalten sich Sportarten und Tänze, aus dem Konstruktionsspiel entstehen Kunstwerke, Architektur und Ingenieurskunst, aber auch Musik als Weiterentwicklung kindlicher Improvisation. Rollenspiele führen zu Theater und Oper, und Regelspiele bilden eine Basis für Regeln in der Gesellschaft überhaupt (Piaget, 1954). Erst die Sichtweise der Verschränkung von Ontogenese und Kulturgenese lässt die Bedeutung des Spiels und des homo ludens erkennen“ (S. 17).

Noch einmal: „Produktive Arbeit enthält stets Spielelemente“! Das ist so gut, weil es so nah am Ziel liegt: Arbeit und Spiel müssen nicht mehr einander ausschließend betrachtet werden! Oerter fasst seine Gedanken zusammen und das ist augenblicklich nicht zu übertreffen:

„Seine evolutionäre Verankerung und kulturelle Universalität legen den Schluss nahe, dass sich Spiel zwar hemmen, aber nicht verdrängen lässt. Dennoch ist das Spiel in seinen optimalen Formen in unserer Gesellschaft durch das Überangebot an Unterhaltung durch die Medien und dem damit verbundenen Vorherrschen rezeptiver Aktivität gefährdet“ (S. 17).

Das Spiel als gefährdete Art der Entwicklung – das muss man ‚mal ganz langsam lesen. Wenn ich jetzt noch herausfinde, wie sich Spiele und Medien genau so wie Arbeit und Spiel (s. o.) verbinden lassen, dann ist der Weg frei für die Spiele im Hörsaal.

Groos III: Das Spiel als Katharsis

Nachdem ich mehrmals darauf hingewiesen wurde, im Blog keine Textlawinen zu produzieren, stelle ich für eilige Leser dem Vortrag von Karl Groos (1922a) einen Versuch der Zusammenfassung voran. Die Idee finde ich inzwischen selber gut – als fröhliche Übung – , denn auch das bedeutet der Begriff „Spiel“ (hier). Danke für die Kritik! Falls irgendwann also irgendjemand fragen sollte, was ich hier eigentlich mache, kann ich das dann hoffentlich in einem Satz erzählen. (Obwohl, bei knappen vier Seiten handelt es sich ja noch nicht einmal um ein Lawinchen…)

Warum ich nochmals einen Vortrag von Groos gelesen habe? Es war der Klang! Ka-thar-sis. Am Anfang explosive Klarheit, zum Schluss das scharfe Zischen einer falschen Schlange. Ohne Schnörkel, nur harte Ecken und Kanten auf dem Weg zum Ziel. Wer kann da noch widerstehen? Ich nicht!

Bei manchen Formulierungen hatte ich den Eindruck, dass der Text als Vorlage für spätere Definitionsversuche des Begriffs „Spiel“ diente. Interessant fand ich die Erklärungen des Unterschiedes von „müssen“ und „wollen“. Darüber habe ich im Zusammenhang mit der Frage, ob Forschung Spaß machen muss, erst kürzlich ebenfalls nachgedacht. Groos schreibt auch über den Schnellkochtopf, „die köstliche Arznei“ des Fluchens, die Schule als Spiel, gemäß der Überschrift natürlich über die Katharsis-Theorie, Spielgesetze und Spielverderber. Er lässt diesmal nichts aus: (Winter-)Sport, Gentleman, Kampf um das Weib sowie deren Pflegetrieb, Gedankenspiel (!), Lektüre und Phantasie sind ebenso Themen für die Begründung seiner Theorie wie Tanz, Lachen aus Verlegenheit, der pädagogische Wert des harmlosen Neckens und die „leidensvolle Arbeit“ des Künstlers. Ich bin immerhin erst ausgestiegen, als sich Groos der Hypothese von Freud verweigert, „daß die obszöne Rede ursprünglich an das Weib gerichtet und einem Verführungsversuch gleichzusetzen sei“ (S. 36/Fußnote). Zwei Psychologen auf einmal schaffe ich nun doch noch nicht. Zum Original:

Vermutlich haben sich verschiedene spätere Autoren bei ihren Versuchen, den Begriff „Spiel“ zu definieren, von Groos inspirieren lassen: „Wenn wir bemerken, daß uns irgendeine Betätigung durch ihre eigenen Inhalte Freude bereitet, so entsteht in uns die Neigung, diese lustvollen Erfahrungen in freiwilliger Wiederholung erneut auszukosten. Unser Verhalten nimmt dann den Charakter einer ‚Vergnügung‘, eines ‚Spiels‘ an“ (S. 20). Der Autor weist auf die Besonderheit dieser „Erlebnis-Sphäre“ hin und den Unterschied zur „auf draußenliegende Zwecke gerichtete“ Arbeit (ebd.). „In die Spielsphäre treten wir dagegen mit der geistigen Haltung des Nichtmüssens, […] des Lust-Erwartens und Gernewollens ein; diese Art des Eintretens breitet sich nachwirkend über das ganze Erleben aus und verleiht ihm selbst da, wo sich die Unlust regen will, jene Freiheit und Heiterkeit, die dem Spiele eigen ist“ (ebd.).

Mit einem Wink an die Pädagogik und einer möglichen Begründung, warum Spiele nicht im Hörsaal eingesetzt werden, heißt es weiter:

„Da so das reine Spiel von dem Spielenden nur um seiner eigenen Reize willen ausgeführt wird, ist es erklärlich, daß seine subjektive Freiheit von draußenliegenden Zwecken manchen Theoretikern als eine objektive Zwecklosigkeit erscheinen konnte und daß in der Praxis rigoristische Pädagogen eben darum die Spiele des Kindes zu unterdrücken oder doch durch nützliche ‚Beschäftigungen‘ zu ersetzen suchten“ (S. 20).

Groos erkennt darin zwei Fehlschlüsse. Erstens handelt es aus seiner Sicht um eine einseitige Betonung der Übung als „ein bloßes Mittel zur Erreichung von Zwecken, die ihr selbst nicht mehr angehören“ (S. 21) und verweist auf die Gedanken von Schleiermacher zum Thema Kindheit. Zweitens handelt es sich bei der „Unterdrückung der Spielfreude“ um einen „Irrtum, […] wenn die Jugendzeit nur als Schule anzusehen wäre. Denn das Spiel ist selbst Schule. Ja, die Zweckmäßigkeit des Spiels ist so groß, daß die teleologische Betrachtung, seit sie hierauf aufmerksam geworden ist, immer neue sinnvolle Zusammenhänge entdeckt“ (ebd.).

In seinem Text versucht Groos, „die alte Katharsis-Theorie, die ursprünglich dem Genuß des Tragischen galt, auf das Spiel auszudehnen“ (S. 21). Er bezieht sich auf Hall und Gulick, die im Spiel „die ontogenetische Wiederholung der phylogenetischen Entwicklung“ erkennen und meinen, damit „niedrige Instinkte […] abschwächen“ zu können (S. 21f). Wenn der Autor ihnen widerspricht: „ … der Pflegetrieb des Weibes wird durch das Jugendspiel mit der Puppe gewiß nicht zum Erlöschen gebracht“ (S. 22), bin ich nicht zum ersten Mal froh darüber, im 21. Jahrhundert zu leben. Er rückt allerdings auch das „Soldatenspiel“ der Kinder in diese Richtung.

Groos erkennt im Zusammenhang mit der Katharsis-Theorie die „Zweckmäßigkeit des Spiels“ darin, „dem instinktiven Drang eine vorübergehende, harmlose Entladung zu verschaffen und so gefährlichere Äußerungen der ungeschwächt weiterbestehenden Triebe zu vermeiden. Die Entladung im Spiel gliche dann (solange die Katharsis wirklich harmlos ist) dem Entweichen des Dampfes durch ein Sicherheitsventil, das an die Stelle ernstlicher Explosionen tritt und doch die Leistungsfähigkeit der Maschine nicht mindert“ (S. 22).

Der „selbständige Lebenswert des Spiels“ ist hier im Vergleich zur „Bedeutung der Selbstausübung“ beschränkt. „Wenn der Gedanke der Selbstausübung das Spiel mit der eigentlichen Erziehung in Parallele setzt, so rückt es hier in die Nähe dessen, was Herbart unter „Regierung“ verstanden hat“ (S. 23). Groos zitiert Vischer: „Wißt ihr denn nichts von der Entlastung der armen Seele? Von der köstlichen Arznei, die im Fluchen liegt?“ (ebd.).

Der Autor sieht die „Aufgabe der Volkserziehung“ darin, „für solche Hemmungen und Ablenkungen zu sorgen. […] Die Erziehung hat außerdem […] darauf bedacht zu sein, daß die für das Individuum befreiende Reaktion für das soziale Ganze nicht nur unschädlich verläuft, sondern womöglich positiven Nutzen bringt“ (S. 24).

Die „Katharsis-Theorie des Spiels bezieht sich als teleologische Deutung vor allem auf die beiden Gruppen der Kampftriebe und der sexuellen Instinkte“ (S. 25). In diesem Zusammenhang unterscheidet Groos endlich sehr genau zwischen Kinder- und Jugendzeit.

Die folgenden Überlegungen haben mich einigermaßen überrascht, denn daß ich hier etwas über Spielregeln und Spielverderber finden würde, hatte ich nicht erwartet:

„Der spielende Kampf mit realen Gegnern […] wird […] leicht die Grenzen des Ungefährlichen überschreiten. Die hemmende Gegenwirkung geht von den Mächten aus, die mit den sozialen Trieben zusammenhängen“ (S. 25f). „Fürs erste ist der Spielgegner nicht nur Gegner, er ist auch Kamerad. Je stärker die soziale Zuneigung ist, die die kämpfenden verbindet, desto sicherer wird der Kampf in den Schranken einer Scheintätigkeit zurückgehalten. Aber diese von innen kommende Hemmung wird in vielen Fällen nicht genügen. Auch Freunde können ernstlich in Streit geraten […]. Dazu kommt vom Alter der Reife an die leichtere Erregbarkeit des Kampftriebes. Wenn dann vollends die Spielgegner entgegengesetzten Gruppen von Kämpfern angehören, so wird das Kampfspiel leicht seine Harmlosigkeit verlieren. Daher bedarf es von außen kommender sozialer Gegenwirkungen. Diese bestehen zunächst in den aus der Spielgenossenschaft selbst hervorgegangenen Spielgesetzen. Wenn sie ein einzelner verletzt, so gilt er als Spielverderber, seine Handlung wird als nicht anständig, als nicht ‚fair‘ angesehen. Aber auch diese Sicherung pflegt zu versagen, wenn die ganze Spielgenossenschaft allmählich in gefährlichere Bahnen gedrängt wird. Dann ist es Zeit, daß die Angehörigen der weiteren sozialen Kreise eingreifen, in denen die Spielgenossenschaft eine Sondersphäre darstellt“ (S. 26).

Auch im letzten Jahrhundert gab es Probleme bei der Einhaltung von Spielregeln: „Trotz aller einschränkenden Spielgesetze ist z. B. das Fußballspiel oder die studentische Mensur schon häufig in eine Entwicklung eingetreten, die ernste Schädigungen im Gefolge hatte […] Hier fällt der Journalistik eine wichtige Aufgabe zu“ (S. 26). Groos wurde lt. Wikipedia während seiner Studentenzeit in Heidelberg Mitglied einer Burschenschaft.

Zu den Wettkampfspielen:

„Neben den ‚direkten‘ Kämpfen, in denen der Spielende einen Gegner angreift, stehen die Wettkämpfe, die in der Einstellung auf ein gemeinsames Ziel die Bemühungen der Teilnehmer nicht gegeneinander richten, sondern sozusagen parallel laufen lassen. […] Wären die Wettkämpfe, die bei allen Völkern […] in so großem Ansehen stehen, durch zielbewußte Überlegung entstanden, so müßte man sie von unserem Prinzip aus als eine geniale Erfindung bezeichnen. Denn indem sie durch die Aussicht auf einen Sieg locken, der die allgemeine Bewunderung hervorruft, entwinden sie dem Naturtrieb dennoch das Mittel, ohne das der Sieg über Gegner auf den ersten Blick unmöglich erscheint: den unmittelbaren Angriff auf diese“ (S. 26f).

Über die Gefahren bei Wettkampfspielen und das Ideal des Gentleman:

„Trotzdem fehlt es auch dem Wettkampfspiel nicht an Gefahren. So drängt der Stachel der Rivalität zur Bewältigung immer schwerer Aufgaben, wie das in dem bedenklichen Streben nach sich überbietenden ‚Rekorden‘ in allen Zweigen des Sports zu bemerken ist. Einer anderen Gefahr, nämlich der zur Schau getragenen, aufreizenden Überhebung des Siegers im Wettkampf über die geschlagenen Mitbewerber, wirkt die Gesellschaft durch die Vorschriften der guten Sitte nicht ohne Erfolg entgegen“ (S. 27). „Hier macht sich das in sozialer Hinsicht so außerordentlich wichtige Ideal des Gentleman geltend. Der Gentleman wird nie in verletzender Form über den schwächeren Mitbewerber triumphieren, weder im Spiel noch im ernsten Daseinskampfe. Der Gentleman wird ferner, um ganz sicher zu sein, daß Gerechtigkeit waltet, dem Gegner gern etwas ‚vorgeben‚ …“ (S. 27/Fußnote 1). „Aber die Äußerung einer solchen Freude […] ist sehr gefährlich, da sie sich als Hohn über die fremde Minderwertigkeit zu einem erneuten (geistigen) Angriff auf die schon Unterlegenen gestaltet. Das Bewußtsein, anderen einen solchen Triumph zu verschaffen, kann zur Erregung eines tödlichen Hasses führen. […] auch wo der Mensch gar nicht durch eigene Taten einen Sieg erfochten hat, ist jenes Bedürfnis vorhanden. Der bloße Anblick fremder Unbehilflichkeit, Dummheit, Zerstreutheit, Häßlichkeit, kurz irgendeiner Minderwertigkeit im Kampfe ums Dasein (und um das Weib!) ist geeignet, das triumphierende Phärisäergefühl der eigenen Überlegenheit und zugleich den lebhaftesten Drang zu erwecken, diesem Gefühl Ausdruck zu geben“ (S. 27).

Groos zählt das Necken „zu den spielerischen Entladungen des Kampftriebes“ (S. 28).

„Die Necklust […] erschließt eine der ursprünglichen Quellen des Komischen. Sie sucht durch Taten oder durch Worte den Genuß fremder Minderwertigkeiten zu erreichen. Die nicht nur harmlose, sondern auch erzieherische Wirkung des spielenden (scherzenden) Neckens kommt am besten in einer von dem Geist ‚guter Kameradschaft‘ erfüllten sozialen Gruppe zur Geltung: auch hier liefern also die sozialen Tendenzen das notwendige Gegengewicht. Der pädagogische Wert des harmlosen Neckens tritt besonders in den gesellschaftlichen Gruppenbildungen der Jugend deutlich vor Augen. So liegt der Nutzen studentischer Verbindungen […] darin, daß hier der in gegenseitigen Foppereien zur Entladung gelangende Kampftrieb seine erzieherischen Einflüsse ohne schädliche Begleiterscheinungen zur Geltung bringen kann, weil ihm das Bewußtsein der sozialen Zusammengehörigkeit den Charakter des Feindseligen und Verachtungsvollen abstreift. […] Das Sprichwort sagt: Was sich liebt, das neckt sich. Man kann hinzufügen: Nur was sich liebt, sollte sich necken dürfen“ (S. 28).

Erziehung durch Lesen? Lektüre und Wachträume („Phantasiespiele“) können nach Groos „ausgesprochenen Spielcharakter besitzen“ (S. 29).

„Das Spiel der jugendlichen Phantasie […] kann von der größten Bedeutung für das künftige Leben werden; aus dieser verborgenen Werkstatt gehen Helden und – Verbrecher hervor. Man vergißt das manchmal, weil es auch ‚bloße‘ Träumer gibt, die über den inneren Kreis des Gedankenspiels nicht hinausgehen. Das wache Träumen kann sich aber ebensogut in äußere Handlungen umsetzen; es ist dann die Geburtsstätte entscheidender Taten. […] in einem bloßen ideellen Erleben kann sich die Jugend die Größe erträumen, die ihr die Wirklichkeit versagt. […] Da aber seine Eigenart […] in der Regel durch die Inhalte der Lieblings-Lektüre bestimmt wird, so kann die Erziehung unmittelbar Einfluß gewinnen, indem sie für die Verbreitung eines gesunden Lesestoffes sorgt, eine Aufgabe, deren Wichtigkeit ja immer mehr anerkannt wird. […] die spielende Entladung der Emotionen kann entweder im Verkehr mit realen Personen stattfinden, ober es kann sich um ein bloß ideelles Erleben […] in der Phantasie handeln“ (S. 30).

„Indem sich die Beziehungen der Geschlechter im Tanz, im Gesellschaftsspiel und in den Tändeleien junger Leute vor den Augen der Vereinigung entfalten, wirkt diese bloße Tatsache einer die bestehende Sitte überschreitenden Annäherung mit Erfolg entgegen. Sobald diese einschränkende Wirkung fehlt, die von der Öffentlichkeit des Spiels ausgeht, wird die Gefahr größer, daß der Instinkt die Hemmungen durchbricht“ (S. 31). „Ein zweites Mittel, das zu der Vermeidung gefährlicher Entwicklungen beitragen mag, ist die Ableitung der Erregung in andere Kanäle. So wird der Tanz trotz seiner unverkennbaren Beziehung auf die Sexualität von der unverdorbenen Jugend überwiegend als Bewegungsspiel genossen. Ja, er kann den Tanzenden selbst den Eindruck eines reinen Bewegungsspiels machen, weil die sexuelle Unterströmung in ihrem Bewußtsein nicht deutlich zur Geltung kommt. […] Selbst wenn man annimmt, daß die Berührung den Tanzenden völlig gleichgültig ist, so ist doch die Nähe des anderen Geschlechts und die Selbstdarstellung vor ihm mit Reizen verbunden, die in unsere Sphäre gehören. – Eine vielleicht noch wichtigere Ableitung ist die Verschiebung der sexuellen Tändelei in ein Kampfspiel“ (S. 32).

Groos erinnert an das Sprichwort: „Was sich liebt, das neckt sich“ und mich damit unwillkürlich an eine aktuelle Diskussion:

„Der neckende Ton in der Beziehung der Geschlechter ist wohl ein besonders geeignetes Mittel, um die Annäherung in den Schranken eines harmlosen Spiels zu halten. Hierbei wirkt das aus dem Konflikt der Scheu mit dem Annäherungs- und Selbstdarstellungbedürfnis entspringende „Kokettieren“ des weiblichen Geschlechts in entscheidender Weise mit. Es ist von Interesse, daß die in solchen Tändeleien so stark hervortretende Lachlust durch das Gefühl der eigenen Überlegenheit über fremde Inferiorität kaum in befriedigender Weise erklärt werden kann, obwohl dieses früher von uns berührte Hauptmotiv des Komischen auch nicht fehlt. Besonders das Lachen des scherzend geneckten und zugleich umworbenen Mädchens hat häufig eine unverkennbare Verwandtschaft mit dem Lachen des Verlegenen. Das erinnert an ein zweites Urphänomen des Komischen, […] an das spielende Erleben und Überwinden eines ‚Chocs‘ oder einer Verwirrung, das als ein ‚defensives‘ Kampfspiel bezeichnet werden kann“ (S. 32).

Wieder was gelernt: Inferiorität bedeutet „Unterlegenheit“, „Minderwertigkeit“ (Quelle). Für die Männerwelt hat Groos einen Rat auf Lager:

„Dazu kommt noch der Übungswert des Spiels, der auf den ersten Blick […] zu fehlen scheint. Es ist aber doch kaum zu bezweifeln, daß der spielende Verkehr der Geschlechter eine größere Sicherheit in der ernsten Bewerbung verleiht und auf der anderen Seite wichtige Erfahrungen verschafft, die die Prüfung dessen, an den man sich ‚ewig bindet‘, erleichtern. Es ist bekannt, daß junge Männer, die den geselligen Verkehr in der eigenen sozialen Schicht meiden, am leichtesten töricht heiraten“ (S. 33).

Jetzt noch etwas für die Künstler unter den Bloggern:

„Ich erwähne ferner das Gebiet der Poesie. […] Dabei kann man nicht nur auf den genießenden Hörer oder Leser, sondern auch auf den produzierenden Künstler den Katharsisgedanken anwenden. Da aber das künstlerische Produzieren als Ganzes genommen kaum eine Spieltätigkeit ist, so beschränke ich mich auf wenige Andeutungen. Soweit sich in der dichterischen Tätigkeit das wichtige Prinzip der ‚Selbstdarstellung‘ geltend macht, ist sie eine befreiende Entladung von Emotionen, denen ja die leicht erregbare Seele des Poeten besonders stark ausgesetzt ist. […] Der wirkliche Künstler begnügt sich aber keineswegs mit der einfachen Äußerung dessen, was sein Innerstes erregt; es kommt dabei vielmehr auch zu einer Art ‚Ableitung‘ oder ‚Umsetzung‘. […] Dieser Umsetzung dienen die beiden anderen Hauptmotive der Kunst, das Prinzip der Nachahmung und das Prinzip der Schöngestaltung. Zum Dionysischen kommt das Apollinische. Dabei mag zwischen den Extremen des impulsiven ‚Hinwühlens‘ und der zielbewußten, oft leidensvollen Arbeit des Gestaltens auch die Spielstimmung auftreten“ (S. 34): „’weil’s mich freut‘. Aber der ganze Prozeß kann sicher nicht als Spiel bezeichnet werden“ (S. 35).

Hmm, das sehe ich anders, aber, ich bin ja auch kein Künstler. Aber, Rezipient:

„Anders verhält es sich bei dem ästhetischen Genießen des Kunstwerks. Auch hier kann man freilich die Meinung vertreten, daß der wahrhaft ‚ästhetische‘ Zustand über die Sphäre eines bloßen Spiels hinauswachse. Jedenfalls ist aber die naive, auf das Miterleben des Stofflichen eingestellte Form des Genießens […] eine ‚Vergnügung‘ oder ein Spiel. […] das große Publikum nimmt […] Kunstwerke nicht nur ihrer künstlerischen Form nach auf, sondern vor allem zu dem Zweck eines spielenden Erlebens“ (S. 35).

Noch einmal setzt sich Groos mit Freud auseinander und abschließend geht es um „das Spiel des Witzes mit dem Unanständigen, speziell mit dem sexuell Anstößigen“ (S. 36), Naturvölker, „bei denen […] die einengenden Schranken […] nicht in Betracht kommen“ (ebd.) sowie „die Seele des Jünglings“, dessen „wohltätige Scheu vor den unbekannten Mächten“ geschützt werden soll (S. 37). Ich verlasse die beiden Psychologen unauffällig…

Groos II: Der Lebenswert des Spiels

Dies ist eine zweite Chance für Karl, nachdem mich seine Sprache in diesem Beitrag mächtig verwunderte. Groos (1922b) beginnt seinen Vortrag mit der Gegenüberstellung von Arbeit und Spiel sowie der Frage nach der Bedeutung des Spiels. „Das Dasein des Kulturmenschen erhält sich nur durch ernste, mühevolle, zweckbewußte Tätigkeit […] Und das Spiel, diese bloße „Belustigung“? […] Und doch muß das scheinbar so zwecklose Spiel eine tiefere Bedeutung haben“ (S. 1). Weil das Kind „noch keine Arbeit kennt“, erscheint es dem Autor angemessen, die Bedeutung des Spiels an der kindlichen Entwicklung zu erklären und festzustellen: „So lange nicht der Zwang der Erziehung eingreift, ist das kindliche Dasein ganz überwiegend von Spieltätigkeiten ausgefüllt […] Die Zeit der Kindheit ist die Zeit des Spiels“ (ebd.). Ausgehend von der biologischen Entwicklung fragt Groos danach, welchen Zweck, genauer welchen „Lebenswert“ das Spiel für die menschliche Natur erfüllt. Der Autor betrachtet das Spiel „als Einübung, als Ergänzung und als Erholung“ und erkennt im Spiel einen „ästhetischen Genuss […], den man als die höchste und feinste Form des Spiels bezeichnen kann“ (S. 1f.).

Von der Tierpsychologie leitet Groos zur menschlichen Entwicklung über. „Die Jugendperiode der höchsten Lebewesen ist eine Lehrzeit, eine Periode der Ausübung, des eignen Erwerbs von Kenntnissen und Fertigkeiten. […] Aber die äußeren Handlungen sind nicht mehr so fest voraus bestimmt. Das Gängelband der Instinkte ist gelockert. Sie sind da und wirken, aber sie sind unvollkommen und ergänzungsbedürftig“ (S. 3). „Das Kind ist hilflos, damit es lerne, sich selbst zu helfen. Wie kann es […] lernen? […] Und selbst beim menschlichen Kinde greift Erziehung und Unterricht erst spät und langsam ein, nachdem das Kind schon eine unermeßliche Fülle von Kenntnissen und Fertigkeiten durch selbständiges Tun erworben hat. Also aus eigener Initiative wird das junge Wesen das ihm Angeborene durch Erfahrung und Übung ergänzen müssen. […] Die Selbstausübung, […], vollzieht sich aber (natürlich ohne bewußte Absicht) vor allem im Spiel. Das ist die erste und ursprünglichste Form, in der uns der gewaltige Lebenswert des Spielens entgegentritt: das Spiel als Einübung, als Selbstausbildung des heranwachsenden höheren Lebewesens“ (S. 4).

„So verhält es sich mit Bewegungsspielen junger Tiere. […] sie sind eine Anpassungserscheinung und bilden eine nützliche Vorübung für das Leben […]. Der Instinkt drängt die Bewegungslust in diese ganz bestimmten Bahnen, um durch die spielende Übung ergänzt zu werden“ (S. 5). Im Vergleich mit Affen: „Nachahmung und […] die Freude am Experimentieren […] braucht nicht notwendigerweise ein Spiel zu sein, hat aber doch häufig Spielcharakter und wird dann wegen der damit verbundenen Freude besonders eifrig betrieben […] Seine biologische Bedeutung liegt in der Nachahmung der eigenen Artgenossen – also in der Selbstausbildung der jungen Tiere für die wichtigsten Lebensgewohnheiten der Art. Es ist leicht einzusehen, wie bedeutsam diese Leistung ist“ (S. 6). Baldwin hat das die soziale Vererbung genannt“ (S. 7).

„Ebenso wichtig sind die Experimentierspiele. Sie sind die erste Schule der Intelligenz“ (S. 7). Groos versteht unter Experimentieren das „’Herumhantieren‘ mit allerlei Objekten“, in dem sich „ein bedeutungsvoller Unterschied vom bloßen Nachahmen“ zeigt und meint, vorwiegend im Beschäftigungsdrang den „Vater des wissenschaftlichen Experiments“ zu erkennen (ebd.).

Als erstes Beispiel für spielerisches Experimentieren bei Kindern nennt Groos die „Entwicklung der Gehbewegung“ (S. 8). Viele Versuche der „folgerechten und doch nicht zielbewußten Entwicklung“ führen schließlich zum Erfolg (S. 9). Das zweite Beispiel stellt für ihn das Erlernen der Sprache dar. Nach den sogenannten Lallmonologen „ergreift der Nachahmungstrieb den durch das Experimentieren geübten Apparat“ (ebd.). Die spielerische Art besteht u. a. im „vergnügte[n] Wiederholen neu erlernter Wörter, […] Benennen der Dinge im Bilderbuch, […] Hersagen von Verschen, […] Sprechen mit der Puppe“ bis das Kind die Muttersprache durch Nachahmung „von selbst“ erlernt hat (S. 11).

„Viele unter den Pädagogen habe es als ein Ideal bezeichnet, den Menschen auch die Fremdsprachen in solch spielender Weise erlernen zu lassen“ (S. 11). Hier könnte mal untersucht werden, warum dieses Ideal aus der Schule verschwunden ist… 

Groos bemerkt eine Parallele zwischen Ausübung im Spiel und „Ausbildung durch Erziehung“ (S. 11). Weiterhin bezeichnet er das „Jugendspiel“ als „absichtslose Selbstausübung“ und „die Erziehung in Haus und Schule“ als „absichtliche Fremdausbildung“ (ebd). Seine Schlussfolgerung lautet: „ …. die Erziehung hat die Aufgabe, an jene absichtslose Selbstausübung durch das Spiel anzuknüpfen und von da aus den Zögling zu der bewußten Selbsterziehung hinüberzuführen, deren Forderungen den Menschen bis an sein Ende begleiten. So ist das Jugendspiel mitten in die großen Zusammenhänge hineingestellt, ohne die eine Kultur unmöglich wäre“ (ebd).

Aber jetzt: „Auch für den Erwachsenen bewahrt das Spiel seinen Übungswert“ (S. 11). Was so verheißungsvoll beginnt, mündet in Vergleichen mit „den Spielen der primitiven Stämme“ und den „’ritterlichen Übungen‘ höherstehender Völker“ (S. 11f). Gebt mir einen Übelkübel, sonst wird mir ohne Kübel übel! Der Nächste bitte: „ … bei den Erwachsenen gewinnt das Spiel, und zwar vor allem innerhalb einer höher entwickelten Kultur, einen neuen Lebenswert: es wird Ergänzung des Daseins. Eine berühmte These Schillers lautet: der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“ (S. 12). Zwar legt Groos im Zitat von Schiller einerseits großen Wert auf das Wort „ganz“, was aus meiner Sicht völlig korrekt ist. Andererseits bezog sich Schiller mit diesem Satz meines Wissens ausschließlich auf das Theater(spiel). Wer spielt mit und widerlegt meine Erinnerung?

Aus der gesellschaftlichen Arbeitsteilung leitet Groos Einseitigkeit ab und sieht im Bewegungsspiel („Kegelabend“, „Bergsport“) „für den ‚Stubenhocker‘, den Bureaumenschen, den Pfarrer, den Lehrer […] ohne Zweifel eine willkommene körperliche ‚Ergänzung‘ seines einseitig gewordenen Berufslebens“ (S. 12). Dem Kegelspiel schreibt der Autor zusätzlich eine „geistige Betätigung“ zu: „Als solche stellt es ein von dem realen Leben abgelöstes Kampfspiel dar, in dem sich die Gefühle der Spannung, des Wetteiferns, der triumphalen Freude des Könnens, des Zusammenhaltens mit der Partei, des harmlosen Lachens über Zufall und Ungeschicklichkeit rein und gleichsam reibungslos ‚entladen‘ können; es gewährt also wie alle Kampfspiele bis hinauf zum Skat oder Schach ein spielendes Durchstoßen von Lebensmöglichkeiten, die im Alltag nicht genug zur Verwirklichung kommen, oder besser: die zwar auch im Ernstleben auftreten, aber […] in dieser Reinheit, in dieser Freiheit von allen ‚Konsequenzen‘ nur in der Scheinwelt des Spiels ihren Ausdruck finden“ (S. 13).

Das „ästhetische Genießen“ in der Kunst ist für Groos das „gefühlsreiche, ‚innere Miterleben‘ […] als Bestandteil des ästhetischen Verhaltens […]. Auch das ist (soweit es sich dabei um ein Miterleben des Inhaltlichen handelt) ein spielendes Durchstoßen von Lebensmöglichkeiten mit Hilfe der ästhetischen Illusion“ (S. 13). Er sieht darin „eine ideale Bereicherung unseres Daseins […], so daß auch hier die ‚Ergänzungstheorie‘ ihre Anwendung findet“ (S. 14).

Groos schreibt von der „Erlebnis-Sphäre des Spiels“ und meint damit die „auf Illusionen beruhende seelische Gemeinschaft“, die dem Menschen „eine Ergänzung des Lebens bedeutet“ (S. 15). „Wir vermenschlichen das Tier, damit es uns zum Freunde werde“ (ebd.). Für das Kinderspiel mit Puppen zieht er die gleiche Schlussfolgerung.

Schließlich nennt Groos als weiteren „Lebenswert des Spiels“ die Erholung und merkt an, dass dies nicht auf das kleine Kind zutrifft: es „findet […] seinen Beruf im Spiel […] und erholt sich […] im Schlaf“ (S. 15f). Ab Beginn der Schulzeit spricht der Autor von einer „Lebenssphäre der Arbeit“ (S. 16). „Von da an tritt die Erholungstheorie des Spiels in ihre Rechte ein und behält sie für das ganze Leben des Kulturmenschen. Wir alle erholen uns im Spiel […] von dem Zwang der Arbeit. In der Befreiung von dem Druck und Zwang des Ernstlebens gewinnt die Erholungstheorie erst ihre tiefere Bedeutung“ (ebd.).

Groos beschreibt sehr anschaulich die „Spaltung des Bewusstseins“ durch Trennung von Arbeit und „häuslichem Leben“ (S. 16). Aus meiner Sicht erscheint dieses „andere Leben“ allerdings nur möglich, wenn die jeweilige Arbeit, egal ob zu Hause oder im Beruf, mit großer Intensität erfüllt ist. Dass im erwähnten Beispiel die Gedanken von Eltern an ihre kranken Kinder während der Arbeitszeit „fast völlig ausgeschaltet“ sein sollen, halte ich für ebenso unrealistisch wie die Aussage, dass die „ganze Vorstellungsmasse des Berufslebens verschwindet wie in einer Versenkung“, wenn Berufstätige nach Hause kommen (S. 17). Konsequent teilt Groos demnach das Spiel als „abgesonderten Erlebniszusammenhang“ und „sorglose Sphäre […] mit feinen Illusionen“ von den „Sphären des Ernstlebens mit ihrer Beziehung zur Wirklichkeit“ (ebd.). „ … je vollständiger wir dabei die Erinnerung an das Ernstleben von uns abstreifen können, […] desto reiner und mächtiger wird sich der Erholungswert des Spiels offenbaren können. Nun ist es nicht nur eine Ergänzung, sondern zugleich eine Befreiung geworden. […] Die Spären des Ernstlebens stehen ja dauernd unter dem Druck der realen Zwecke. Alles, was wir vollbringen, ist stets nur das Mittel zu solchen uns vorschwebenden Zielen […]. Im Spiele aber befreien wir uns von dem harten Zwange des Müssens. Mit einer Stimmung des ‚Nichtgezwungenseins‘ und ‚Gernewollens‘ öffnen wir die Türe zu einer Scheinwelt […]. Diese Stimmung breitet sich nachwirkend […] über die ganze Spielsphäre aus“ (S. 17). „Was wäre das Leben ohne diese Zuflucht!“ (S. 18). Über die Frage nach der Bedeutung des Wortes „müssen“ im Zusammenhang mit Spiel und Spaß, lohnt es sich ebenfalls nachzudenken. 😉

Vom „Mißbrauch der Erholung“ über die Kunst als „Welt der Schönheit“ führt Groos den Leser „in ein Reich idealer Vollendung […] und nun steigert sich die Erholung zu einer Erlösung aus aller Unvollkommenheit des Wirklichen; in diesem Erlösungswert des höchsten Spieles liegt seine schon manchmal betonte Beziehung zum religiösen Leben“ (S. 18).

Abschließend verweist Groos nochmals auf die Gegenüberstellung der beiden Sphären Ernstleben und Spiel, schreibt aber auch: „Beide sind uns nötig; sie ergänzen sich wechselseitig“ (S. 18).

(Der Vortrag erschien erstmalig im Jahr 1910.)

Groos I: Wesen und Sinn des Spiels

Karl Groos (1934) bezieht sich in seinem Artikel auf eine Schrift des Physiologen F. J. J. Buytendijk – mit gleichnamigem Titel (1933). Das Buch erscheint Groos „durch seinen Gedankenreichtum geeignet, die Erkenntnis einer der wichtigsten Lebenserscheinungen in vielfältiger Weise zu fördern“ (S. 358). Der Autor meint, „daß das Jugendspiel den biologisch wichtigsten, wenn auch nicht den einzigen Gegenstand einer Spieltheorie darstellt“ (ebd.). Als „Merkmale des Jugendlichen“ werden u. a. „Ungerichtetheit“, im Sinne von „Fehlen einer Steuerung, einer festen Führung, eines Gerichtetseins nach einem Ziel“, und „Bewegungsdrang“ angeführt (ebd.). Daraus leitet er eine „pathische Einstellung […], d. h. ein mehr gefühlsmäßiges Ergriffenwerden vom Erlebten“ ab und überträgt die genannten „Eigentümlichkeiten der jugendlichen Dynamik“ auf das Spiel (S. 358f). „Wir finden auch im Spiel ‚die Ungerichtetheit, die Zielfreiheit, die Fülle und Maßlosigkeit, den Bewegungsdrang und das pathetische Ergriffenwerden‘ wieder“ (S. 359). Da der Begriff des „Jugendlichen“ nicht weiter definiert wird, einige Beispiele (Kreisel, Murmel) und die Beschreibung der Merkmale für mich nicht zweifelsfrei auf Jugendliche anwendbar ist, kann ich nur vermuten, dass es sich im Text nicht um Jugendliche („Billardspieler“) allein, sondern auch bzw. insbesondere um Kinder handelt.

Der Begriff der „Ungerichtetheit“ erinnert mich an die Frage, was es in der Definition von Huizinga zu bedeuten hat, wenn das Spiel sein „Ziel in sich selber hat“ (hier). Groos beschreibt es so: „Der Begriff der Ungerichtetheit, der ziemlich vieldeutig ist, darf nach meiner Ansicht für das allgemeine Wesen des Spiels nur dann Geltung beanspruchen, wenn dabei die Negierung der Zielgerichtetheit mit dem unentbehrlichen Zusatz verbunden wird: auf ein außerhalb der Spielsphäre gelegenes Ziel. […] Innerhalb der Spielsphäre kann man nämlich nicht allgemein von dem ‚Fehlen einer Steuerung‘ sprechen“ (ebd.). Beispielhaft bezieht er sich auf Buytendijk, für den „der Übergang zum ‚Sport‘ schon da beginn[t], wo der Ball ‚auf ein Ziel geworfen‘ wird […] und er nennt es eine ‚Entartung‘ des reinen Spiels, wenn sich das Hantieren mit Reif, Kreisel oder Murmel zu einem Wettkampf gestaltet“ (ebd.). Geht es hier immer noch um das Spiel? Die Sprache ist verräterisch.

Zu den Spielregeln bemerkt Groos, dass sie in ihrer einfachen Grundform „positive Verhaltensregeln“ beinhalten, „die man nur in erzwungener Weise negativ ausdrücken könnte“ und Belohnungen nach sich ziehen, wenn zum Beispiel der Gewinner „drei Schritte vorwärts springen darf“ (S. 360).

Was den „Bewegungsdrang […] als allgemeines Hauptmerkmal“ betrifft, so fallen nach Groos auch „manche[…] in äußerer Ruhelage ausgeführte[…] Spiele“ unter den Spielbegriff (ebd.). Der Autor schreibt von „’virtuellen‘ Bewegungen […]: bloße Bewegungsintensionen, die nur zu einem Bewegungsgefühl führen […]. Auf solchen Bewegungen beruht auch das Miterleben der Bewegungen, die der Spielgenosse oder der Spielgegenstand ausführt“ (ebd).

„Mit dem Bewegungsdrang hängt ferner die Rhythmik der Wiederholung zusammen […], die mit Erwartungs- und Erfüllungsgefühlen verbunden ist und dadurch unabhängig von der Qualität des Reizes Lust erregt“ (ebd).

Die „Einübungstheorie des Spiels“ führt Groos bis auf Platon zurück und verweist auf verschiedene Möglichkeiten des „Lebenswert[es] (survival value) des Spiels […]. Diejenige Nutzwirkung, die besonders für die Anfänge der Jugendentwicklung Geltung beansprucht, ist allerdings die Einübung oder unbeabsichtigte Selbstausbildung“ (S. 362). In diesem Sinne zitiert er Buytendijk zum „Einübungswert der Spieltätigkeiten“ […]. ‚Diese führen das Jugendliche zur Selbständigkeit und Bekanntheit mit der Umwelt, mit Dingen und Geschehnissen’“ (S. 363). Als Zusammenfassung der Einübungstheorie bemüht er ein Zitat von Thurnwald: „Das Kind wächst spielend in die nötigen Fertigkeiten hinein“ (ebd.).

Allgemeine Didaktik

Um die Verwirrung aus dem letzten Blogbeitrag zu entknödeln, habe ich mich erst einmal durch meine Lieblingsblogs gewühlt und bin dabei zu der Ansicht gekommen, dass Dozenten ohne didaktische Ausbildung großen Respekt verdienen. Ihre Lehrveranstaltungen sind wie Flugreisen mit einem Piloten, der keine (technische) Kenntnisse über das Flugwesen hat. Das kann funktionieren, muss es aber nicht. Im letzten Fall könnte z. B. Folgendes passieren: http://www.youtube.com/watch?v=yC1A1UiV3BY&feature=related.

Bedeutung und Definition.

„Lehre, Unterricht, Unterweisung […] Lehrkunst. […] In allen Bedeutungen deckt das sprachliche Feld von Didaktik also die Begriffe ‚Lehren‘ und ‚Lernen‘ ab. In diesem umfassenden Sinne kann die Didaktik deshalb als die wissenschaftliche Reflexion des Lehrens und Lernens aufgefaßt werden […] Die allgemeine Didaktik befaßt sich im Gegensatz zu den speziellen Didaktiken […] mit den allgemeinen Prinzipien, den Strukturmomenten und der Institutionalisierungsproblematik organisierten Lehrens und Lernens“ (Lenzen, 2006, S. 307, Herv. i. Original).

Geschichte. Bereits in der Antike (Platon, Sokrates) wurde über didaktische Fragen nachgedacht. In „einen im wissenschaftlichen Sinne pädagogischen Kontext“ wurde die Didaktik als Teil der Erziehung erst zur Zeit der Aufklärung durch z. B. Radtke, Comenius (‚Didactica magna‘), Herbarth gebracht (ders., S. 308).

Aspekte der allgemeinen Didaktik. Die Unterscheidung der didaktischen Modelle und Theorien bezieht sich nach Lenzen auf die Aspekte

  • Inhalt: „Was soll gelehrt und gelernt werden?“,

  • Vermittlung: „Wie soll gelehrt und gelernt werden?“, Weg, Methode,

  • Beziehung: „Wie interagieren die an Lehr- und Lernprozessen beteiligten Personen?“ und

  • allgemeine Ziele:„Wozu wird etwas gelehrt und gelernt?“ (ders., S. 309-314).

Lenzen macht auf die „vielen offenen und unerledigten Fragen der allgemeinen Didaktik“ aufmerksam und geht dabei näher auf den institutionellen Aspekt, das Verhältnis zu den Fachdidaktiken sowie das Verhältnis von Theorie und Praxis ein (S. 314f). Er erwähnt die „eigenständige […] Didaktikdiskussion in der Deutschen Demokratischen Republik“ und fragt, „ob die allgemeine Didaktik […] ihr eigenes Aufgabenfeld dadurch verlieren wird, dass immer mehr Fachdidaktiken sich gleicher oder ähnlicher Fragestellungen und theoretischer Positionen bedienen“ (S. 315). Zum Verhältnis von Theorie und Praxis schreibt Lenzen, dass geklärt werden müsse, „wie sich Lehrer didaktisches Theoriewissen aneignen und wie dieses Wissen im Prozess der Routinebildung des Lehrers modifiziert wird“ (S. 315). Wichtig sei dabei, „näher an die Analyse des Unterrichtsgeschehens selbst zu gelangen“, statt sich lediglich den „idealen Strukturen des Lehrens und Lernens“ zu widmen. Denn „Fortschritte in der didaktischen Theoriebildung und im schulischen Alltag werden […] durch gemeinsame, bewußte Anstrengungen handelnder Subjekte in der Praxis und in der Theoriebildung“ erreicht (ebd.).

Ähnlich schreibt auch Klaus Prange (2011) über „Didaktik und Methodik“ (S. 183). Er bezieht allerdings noch „das sogenannte didaktische Dreieck“ Thema – Lehrer – Schüler ein (ebd.). Auch Prange stellt fest: „Eine spezifisch pädagogische Theorie des Lernens und Erkennens lässt sich nicht ausmachen“ (S. 185). Obwohl der Autor über den schulischen Unterricht schreibt, finden sich im Text interessante Parallelen zur Hochschule, z. B.: „Die einfachste und traditionsgefestigte Form ist die der direkten Unterweisung („Frontalunterricht“) […]. Sie hat ihr Vorbild im wissenschaftlichen Vortrag, aber auch in Predigt und Paränese und steht unter dem Verdacht einseitiger Bevormundung der Lernenden“ (S. 186). Ein Problem sieht Prange im „Auseinandertreten von didaktischer Praxis und unterrichtswissenschaftlicher Forschung: „Die Unterrichtsforscher unterrichten nicht und die Lehrerinnen und Lehrer bleiben von der Forschung abgeschnitten“ (S. 188). Deshalb ist für ihn die „Zusammenführung von Praxis und Theorie der Didaktik […] eine wichtige Aufgabe der Zukunft“ (S. 188). Das ist mein persönlicher Dreiklang Theorie-Praxis-Theorie! – Literatur! (S. 188)

Keller und Novak (1993) beschreiben die theoretischen Ansätze. In Anlehnung an Blankertz unterscheiden sie diese nach Bildungs-, Lern-, Informations-kybernetischer und Kommunikationstheorie. Didaktik bezeichnen sie als „Berufswissenschaft des Lehrers […] Sie hat die Aufgabe, die Lehrer zur wissenschaftlich orientierten Bewältigung ihrer täglichen Aufgabe in Schule und Unterricht zu befähigen“ (S. 88). Als Praktiker habe ich Zweifel an dieser Aufgabenbeschreibung. Aber, soll ich mich mit zwei Psychologen streiten?

Gudjons (2012) wiederum bestimmt Didaktik „als wissenschaftliche Reflexion von organisierten Lehr- und Lernprozessen“ (S. 241). Er bezeichnet die Ansätze aus der Bildungs- und Lehrtheorie sowie die Konstruktivistische Didaktik als „immer noch aktuell“ (S. 243) und ordnet verschiedene Theorien zeitlich ein (vgl. Abb. 25). Neben den bekannten didaktischen Modellen vergleicht Gudjons die allgemeine Didaktik mit der Lehr-Lern-Forschung und widmet sich in zwei Abschnitten „neuere[n] Unterrichtsformen – ‚Theorie aus der Praxis’“ bzw. der „neue[n] Rolle von Lehrern und Lehrerinnen“ (S. 259 – 267). Inzwischen stört mich die Abgrenzung der Modelle mächtig (z. B. „Instruktion und Konstruktion beim Lernen – zwei Feinde?“, S. 258f.). Vermutlich ist das ein spezielles Problem der Theorie, denn in der Praxis würden solche Fragen gar nicht gestellt. Schließlich geht es einfach um „guten“ Unterricht und dafür wählt der Lehrer aus den vorhandenen Möglichkeiten der Unterrichtsgestaltung eben die besten für die jeweils entsprechende Gruppe und Situation aus. – Reichhaltige Literaturliste (S. 267 – 270)!

Tenorth und Tippelt (2012) fassen den Begriff weiter: Didaktik „wird […] als übergreifende Bezeichnung […] im Hinblick auf alle Formen intentionaler (zielgerichteter), in irgendeinem Grade reflektierter Lehre (im Sinne von reflektierter Lern-Hilfe) und auf das im Zusammenhang mit solcher Lehre sich vollziehende Lernen verwendet, […] im Sinne von Allgemeiner Theorie des Lehrens und Lernens im Unterricht“ (S. 158f.). Die Autoren beschreiben den Begriff „Bereichsdidaktik“ (Fachdidaktik?) und weisen in diesem Zusammenhang sowohl auf die notwendige Zusammenarbeit verschiedener Wissenschaftsbereiche als auch auf die „Öffnung der Schule und des Unterrichts für das außerschulische Umfeld“ hin (S. 159). Die Betrachtung der „Hauptfragen und Themen“ ähnelt den Ausführungen der o. g. Autoren (S. 160). Tenorth und Tippelt wenden sich jedoch zusätzlich den historisch-gesellschaftlichen Bedingungen der Didaktik zu (S. 160f.). Daraus leiten sie „Forschungsprobleme“ ab, die sie in der „Verknüpfung von drei Methodengruppen“ sehen, die sich „wechselseitig […] ergänzen und begrenzen“ (S. 161). Es handelt sich bei den Ansätzen um „historisch-hermeneutische, empirische und gesellschaftsanalytisch-ideologiekritische Methoden“ (ebd.). Die anschließenden Literaturhinweise sind verhältnismäßig knapp gehalten, führen aber u. a. „Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik“ von Klafki (1996) auf. Das scheint insofern interessant, als dass Forschungsergebnisse in meinen Beiträgen noch keine wesentliche Rolle gespielt haben.

Nach der Allgemeinen Didaktik, in der ich mich gewissermaßen „zu Hause“ fühle, müsste ich mich nun auf die Hochschuldidaktik konzentrieren. Mein Problem dabei ist: Kann ich sinnvoll über ein Thema schreiben, von dem ich praktisch keine Ahnung habe?

Student gesucht – Lust gefunden

Es ist – wie so oft – eine Frage der Definition: Die Erwachsenenbildung gehört nach Giesecke (1990, S. 138) zum pädagogischen Freizeitangebot des sog. Tertiärbereiches. Ein Studium zählt nach dieser Auffassung zur Ausbildung. Burkhard und Weiß (2008, S. 142) hingegen ordnen sowohl die Hochschulausbildung als auch die Erwachsenenbildung dem Tertiärbereich zu. Damit stellte sich hier die nächste Frage: Wer oder was ist ein Student?

Relativ einfach lassen sich Informationen zum Alter von Studenten finden. Nach Keller und Novak (1993, S. 68) liegt das Alter der Studenten zwischen ca. 18 und 23 Jahren. Burkhardt und Weiß (2008, S. 142) setzen den Beginn etwa ein Jahr später an und lassen die obere Altersgrenze offen.

Schwieriger ist das mit dem Begriff „Student“. Wahrscheinlich ist jedem klar, was das Wort bedeutet. Ich weiß es nur „so ungefähr“ und schaue deshalb lieber noch einmal nach. Gefunden habe ich bei Wermke et al. (2007, S. 825) Erstaunliches: Das Verb „studieren“ wird übersetzt mit „lernen, [er]forschen; die Hochschule besuchen“. Vom lateinischen Verb studere ausgehend, lässt es sich auch mit „etwas eifrig betreiben, sich wissenschaftlich betätigen“ vergleichen. Ein Student ist demnach ein Lernender bzw. Schüler und das Fremdwort „Studium“ wird mit „wissenschaftliche [Er]forschung, intensive Beschäftigung mit einer Sache, Hochschulausbildung“ übersetzt. Alles bekannt und langweilig? Im Gegenteil! Aber, langsam, um es zu genießen: Die Pluralform von „Studium“ ist „Studien“ und zurück zum Singular kommt man auf – die „Studie“, was u. a. „Übung[sstück]“ bedeutet. Zwei Übersetzungen aus diesem Absatz sollen noch einmal hervorgehoben werden: „etwas eifrig betreiben“ und „Übung„.  Ist es weit hergeholt, wenn ich die Formulierungen mit den Begriffen „Flow“ und „Spiel“ in einen Zusammenhang bringe?

Weil ich nicht glauben kann, dass mich mein Ungefährwissen so getäuscht hat, suche ich nach weiteren Quellen und werde wieder überrascht. In einem Lehrbuch für Latein (Bayer, 1984, S. 228) wird studere übersetzt mit „sich bemühen, sich den Wissenschaften widmen. Für das Wort „Studium“ findet sich dort „Vorliebe, Bemühung, Eifer, wissenschaftliche Betätigung“. Ähnliches liest sich in einer weiteren, jedoch aktuelleren Schulbuchausgabe von Utz et al. (2011, S. 252): Das Substantiv Studium wird dort übersetzt mit „Beschäftigung, Engagement, Interesse“. –  Ein älteres Wörterbuch (Menge, 1972, S. 497) enthält jedoch für „Studium“ noch weitere Bedeutungen, nämlich „eifriges Streben, Lust, Begierde, […] Lieblingsbeschäftigung“. Welchen Grund mag es wohl haben, dass die Wörter „Lust“, „Begierde“ und „Lieblingsbeschäftigung“ heute sprachlich im Zusammenhang mit dem Studium weniger oder gar nicht mehr gebräuchlich sind?

Der vermutete Aufenthaltsort von Studenten ist die Universität. Deren (Vor-)Geschichte beginnt in der Antike. Dort gilt die Uni als höchste Form des Unterrichts, der lehrerzentriert ist und bis zu fünf Jahren dauert. Dafür bezahlen die Schüler ein sog. „Hörergeld“. „Der Unterricht beruht auf den drei Säulen Unterweisung in der Technik, Nachahmung, Einübung“ (Burkhard & Weiß, 2008, S. 35). – Mittelalter: Der Begriff „Student“ taucht im Zusammenhang mit der Gründung der ersten (unabhängigen) Universitäten im 11. Jahrhundert auf. „Die Lehrveranstaltungen bestehen aus Vorlesung, […], Disputationen und Repetitorien“, wobei die Vorlesungen oft am Vormittag stattfanden und nachmittags „Übungen und Repititionen“ abgehalten wurden (ders., S. 41).  – Über die Hochschulen zur Zeit der Reformation im 16. Jh. unter dem Einfluss der Kirche schreiben die Autoren: „Körperliche Strafen sind verpönt. Dagegen sollen Preisaufgaben, Wettstreit und Ehrenämter die Leistungsbereitschaft motivieren“ (ders., S. 55).  Burkhard und Weiß merken außerdem eine „Verschulung des Unterrichts“ an (ebd.). – Im 17. Jh. versanken die Universitäten in kurzzeitiger Bedeutungslosigkeit, „da ihre Organisationsstruktur und ihre Lerninhalte sich den gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Entwicklungen gegenüber verschließen“ (ders, S. 81), um im 18. Jh. als „Forschungsstätten“ wieder aufzublühen und „ihre charakteristische Aufgabe in der Verbindung von Forschung und Lehre [zu] finden“ (ebd.). – 19. Jh.: „Grundlegend sind […] die Einheit von Forschung und Lehre als gemeinsame Wahrheitssuche von Professoren und Studenten…“ (Gudjons, 2012, S. 95). Die „Professoren und Studenten beschäftigen sich mit offenen Fragen und ungelösten Problemen“ (Burkhard & Weiß, S. 85). Dadurch ändert sich das Lehrer-Schüler-Verhältnis: „Die Professoren sind nicht für die Lernenden da, sondern beide zusammen für die Wissenschaft“ (ebd.). Unter dem Stichwort „Selbstbildung“ heißt es weiter: „[D]er Student ist frei und eigenverantwortlich. Studienordnungen und Prüfungen sind daher abzulehnen“ (ebd.). – Im 20. Jh. ist eine erneute Verschulung der universitären Ausbildung durch Umstellung von Diplom- auf Bachelor- und Masterabschlüsse zu verzeichnen (ders., S. 143). „Um 1970 wurden dann Studien- und Prüfungsordnungen erlassen, die u. a. zwischenzeitliche Leistungsnachweise vorsehen“ (Tenorth & Tippelt, 2012, S. 322).

Respekt vor denjenigen, die all‘ das schon verinnerlicht haben! Einübung in der Antike, Übung im Mittelalter, Preisaufgaben und Wettstreit als Motivation im 16. Jh., ein verändertes Lehrer-Schüler-Verhältnis durch gemeinsames Forschen im 19. Jh. sowie Lust, Begierde und Lieblingsbeschäftigung im 20. Jh. – aus diesen Begriffen im Zusammenhang mit dem Wort „Studium“ ergibt sich doch ein völlig neuer Blick auf die Richtung „Hörsaalspiele“! Ich erliege der Versuchung und lasse mich zu der vorläufigen Vermutung hinreißen, dass Studenten begierig auf Spiele im Hörsaal sind.