Halbzeit

So, Freunde der gepflegten Forschung, es ist Zeit für eine Zwischenbilanz, denn in zwei Jahren soll ich mein Hobby offiziell leider schon wieder beenden. Es hatte bisher erstaunlich viel Ähnlichkeit mit Sport und Musik. Die Auswertungsmethode Grounded Theory beispielsweise musste ich regelrecht trainieren. Jeden Tag mehrere Stunden codieren üben – egal, wie viel Arbeit beruflich und privat anfällt, egal ob Feiertag oder Ferien. Für die Analyse des ersten Interviews brauchte ich zB mehrere Wochen, doch die Zeit an sich habe ich zunächst gar nicht als größtes Problem wahrgenommen. Mir macht/e mehr das Fehlen von geistiger Verwandtschaft zu schaffen und dadurch wirkt das Lernen relativ schwer und langwierig. Obwohl, wenn ich das Interview mit Sandra Aßmann zur Grounded Theory im Blog Kulturkapital (hier) höre, bin ich noch ganz gut dabei im Wettlauf mit der Zeit. Aus heutiger Sicht würde ich diese Methode jedenfalls wieder verwenden. Ich halte sie für äußerst ergiebig und der durchaus biestige Anfang und die vielen zähen Momente werden letztlich durch flow-Erlebnisse und einen Hauch von Erkenntnis wieder aufgewogen.

Zu allem Überfluss bin ich neben zeitfressenden Irrwegen anfänglich sogar noch von völlig falschen Voraussetzungen ausgegangen, was meine Annahme zur didaktisch-methodischen Ausbildung von Dozierenden an Hochschulen betrifft. Oliver Tacke beschreibt das Thema sehr anschaulichen in seinem Beitrag über Lehre ohne Qualifikation (hier). Aber, da muss man eben kreativ werden, um das Boot doch noch in die richtige Richtung zu lenken. So wurde aus der vollen Konzentration auf das Hauptwort Spiel schließlich das Spiel als Methode in den Mittelpunkt gerückt.

Genauso viel Zeit kostet mein ständiger Kampf mit der Technik. Aber natürlich ist es auch reizvoll und ich genieße es, technische Probleme allein lösen zu können und dabei eine Menge über die erstaunlichen Möglichkeiten verschiedener Programme auf meinem PC zu lernen. Das ist jedoch eine Fertigkeit, die ich gern schon vor Beginn der Arbeit besessen hätte!

Bei der Betreuer-, Mentoren- und Themenwahl würde ich jedenfalls wieder so vorgehen, dh viel Zeit investieren, Holzwege eingestehen und neue Pfade suchen. Das muss einfach alles zusammen und zu meiner Arbeitsweise passen! Hier habe ich mit dem Dream-Team Christian Spannagel und Monika M. Möhring schon erhebliches Glück. Dem nicht genug, stellt sich unverhofft sogar noch ein Nutzen für den Beruf ein. Die Mehrzahl der Ergebnisse lässt sich nämlich prima auf meinen Unterricht übertragen und natürlich probiere ich das alles sofort in der Schule aus. Sinn auf mehreren Ebenen, mehrfacher Nutzen – das IKEA-Prinzip gefällt mir und ich weiß mein Glück um so mehr zu schätzen, wenn ich Beiträge wie den (hier) von Christine Plicht über die „Verknüpfung von Schule und wissenschaftlicher Forschung (gescheitert?)“ lese.

Die externe Variante für eine Forschungsarbeit ist allerdings etwas, worauf ich keinen großen Wert mehr lege. Der Vorteil Unabhängigkeit wiegt meiner Ansicht nach den Nachteil des nötigen Austausches nicht genügend auf. Da ich momentan jedoch keine bessere Wahl habe, muss ich gegensteuern und stelle dabei fest, dass ich für Multitasking ungeeignet bin, also nicht gut mehrere Dinge gleichzeitig erledigen kann. Fahre ich zB zu einem Treffen der Playgroup, fehlen mir mindestens zwei Tage für die Codierung und Rückkehr in den richtigen Arbeitsrhythmus. Da ist sie wieder, die Ähnlichkeit mit Sport und Musik. Andererseits will ich auf die Meinungen und Beiträge der Gilde nicht verzichten. So verhält es sich auch mit der Vorbereitung von Vorträgen oder Workshops, Konferenzbesuchen oder dem Verfassen von Artikeln. Wie schaffen es „die anderen“, ständig unterwegs zu sein und trotzdem ihre Arbeit zu schreiben? Es fehlt mir nicht an der nötigen Motivation, im Gegenteil. Ich warte seit dem Beitrag „Achtung, jetzt kommt eine Krise“ (hier) von Christine darauf, dass irgendwann Schluss mit lustig ist. Das passiert aber irgendwie nicht und damit das so bleibt, versuche ich, etwas Druck aus dem Perfektionkessel zu nehmen. Also, erst die Forschungsfragen beantworten und dann ggf. eine eigene Theorie als Sahnehäubchen oben drauf. Muss nicht, sondern kann – das ist der entlastende Unterschied.

Einige Sorgen bereiten mir inzwischen die Aufrufe von verschiedenen hochschuldidaktischen Seiten auf Beiträge über konkrete Spiele in diesem Blog. Natürlich finde ich es schön, wenn Dozierende Interesse an Spielen als Methode zeigen. Die Beschreibung einiger Hörsaalspiele müßte jedoch einerseits noch den aktuellen Erkenntnissen angepaßt werden. Andererseits weiß ich aus der Analyse der Interwiews, dass sich Dozierende nicht nur schriftliche Anleitungen, sondern weitere und anschaulichere Formen von Informationen über Hörsaalspiele wünschen. Nun, das ist ein lösbares Problem, glaube ich. Wenn nicht in dieser Arbeit, dann eben in der nächsten.

Letztlich gibt es doch noch so etwas wie eine schlechte Nachricht: Das Börsenblatt berichtet (hier) von der Übernahme der Verlagsgesellschaft Lucius & Lucius durch De Gryter ab diesem Jahr. Na gut, es wäre lustig gewesen, die Arbeit dort zu veröffentlichen, aber wer zu spät kommt, muss eben früher aufstehen! Insofern bin ich froh, mit meinem Vorhaben nicht bis zur Rente gewartet zu haben.

Fazit: Forschen ist für mich eine Glücksquelle mit Suchtpotential (frei nach Jean-Pol Martin, hier) – es dauert lange und ist trotzdem viel zu schnell vorbei.

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