Welche Ziele hat die Vorlesung?

Ursprünglich wollte ich an dieser Stelle ‚mal schwungvoll darstellen, welche Spiele für jeweils unterschiedliche Lern- und Lehrziele in der Vorlesung geeignet sein könnten. Prompt stehe ich vor dem Problem, dass ich gar nicht weiß, welche Ziele mit der Vorlesung, i. S. v. Vortrag, verbunden werden. Tenorth & Tippelt (2012) beschreiben „Lernziele“ als „Konkretisierung von Richtzielen“ (S. 489). „Richtziele“ wiederum benennen „ein übergeordnetes Lernziel“ und sind in der Unterrichtspraxis „durch Feinziele zu ergänzen“ (S. 605). Das ist mir nicht konkret genug. Bemerkenswert finde ich allerdings, dass der Begriff „Richtziel“ „eigentlich aus der Artillerie“ entlehnt wurde (ebd.).

Schumacher (2003) erklärt in einem Text zur Gestaltung von Vorlesungen indirekt die „Aktivierung und Motivierung der Studierenden“ zu Zielen (S. 9). Das geht schon in die richtige Richtung, beantwortet aber meine Frage noch nicht genügend. Die Universität Zürich stellt in einem Dossier zur Hochschuldidaktik eine Übersicht mit verschiedenen Zielen zur Verfügung und aus den anschließenden Erläuterungen greife ich mir „fördern“ und „verstehen“ heraus (S. 6f.). Hmm.

Vielleicht funktioniert die Suche besser über den Begriff „Lehrziel“? Die Ruhr-Uni-Bochun bietet ihren Dozierenden auf der Seite „Lehre laden“ eine Menge Ideen für die Lehre an. Unter dem Stichwort „Die gute Vorlesung“ stellt Klaus Hellermann sieben Thesen auf, aus denen sich mögliche Lehrziele ableiten lassen. Da wären z. B. die „kognitiven Lehrziele“ (geht’s vielleicht ein bisschen genauer?), „Aufrechterhaltung von Konzentration und Aufmerksamkeit“ sowie „Motivation“ der Studierenden. Die „Alternativen zur klassischen Vorlesung“ hätten mir ruhig früher in die Hände fallen können. Dort stellt Hellermann nämlich u. a. vor, wie mit großen Gruppen in der Vorlesung an der RUB  bereits gearbeitet wurde.

Tja, und dann lande ich auf der Seite „Lehr- und Lernziele“ und traue kaum meinen Augen: Am Begriff „Lernziel“ haben sich schon einige Wissenschaftler abgearbeitet und das Ergebnis bleibt nicht mehr so „merkwürdig diffus“. Anders sieht es jedoch beim Begriff „Lehrziel“ aus, der zwar in der Überschrift erwähnt wird, im Text aber nicht mehr auftaucht. Dabei ist die Frage doch ganz einfach: Welche Ziele verfolgen Dozierende in (klassischen) Vorlesungen mit ihren Vorträgen? Wenn ich mir etwas zu Weihnachten wünschen dürfte, so wären es Antworten.

16 comments so far

  1. frandevol on

    Lernziele an der Universität? Für mich macht das im Nachhinein den Unterschied zwischen Schule und Hochschule aus: Es gibt (endlich) keine Lernziele mehr, die erreicht werden müssen.

    Wozu dann Vorlesungen?
    Als Student (im alten, freien, nicht verschulten System) habe ich Vorlesungen so verstanden:
    Ein Professor, ausgewiesener Experte in seinem – manchmal recht kleinen – Fachgebiet, breitet Wissen in konzentriertester Form vor uns aus. Es entsteht ein Überblick über das Gebiet (Inhalte, Fachliteratur, Experten), wie man ihn sich selbst in derselben Zeit nicht erarbeiten könnte. Im besten Fall lässt er uns teilhaben an seiner aktuellen Forschung und weist uns dabei in akademisches Denken und Forschungsweisen ein.
    Es muss nur anwesend sein, wer wirklich interessiert ist. Zu einer Diskussion kann es nicht kommen, da keiner auf gleicher Augenhöhe mitsprechen kann. Wohl aber kann sich aus klugen Nachfragen ein interessantes Lehrgespräch entwickeln.

    Dem Student, der Studentin bleibt nun:
    – Das Gehörte zu rekapitulieren, zu vertiefen, wo Unklarheiten blieben.
    – Das Grundlegende herauszuarbeiten, das zum allgemeinen Wissen des Faches gehört (dies sind die Inhalte, die auch einer Prüfung angemessen wären) und sich dieses Basiswissen zu eigen zu machen.
    – Im besten Fall Interesse für ein in der Vorlesung erwähntes Teilgebiet zu entwickeln (oder in der Vertiefung auf Unbekanntes, Fesselndes zu stoßen), sich selbst dort hineinzuvertiefen und eigene Expertise zu gewinnen. Im günstigen Fall kann das in einer Hausarbeit oder einem Prüfungsthema münden, ansonsten dient es einfach „nur“ dem „Sich-Bilden“.

    Damit gibt es keine einheitlichen inhaltlichen Lernziele mehr, Das macht ja genau den Unterschied zur Schule aus: endlich entscheide ich selbst, was und wie tief ich lerne.

    Nachtrag: Leider ist all dies mit der Umstellung auf Bachelor und Master anscheinend verloren gegangen.

  2. Kristina Lucius on

    @frandevol „Es gibt (endlich) keine Lernziele mehr“ – das nenne ich mal eine steile These! 😉
    Vielleicht mal ein paar aktuelle Beispiele für Lernziele in Vorlesungen, z. B. für den Bereich Medieninformatik, Studienarbeit, Chemie/Physik/Biologie oder Rechtsmedizin.
    Aber macht sich nicht jeder Vortragende auch Gedanken über Lehrziele in der Vorlesung?

  3. Oliver Tacke on

    Ich stelle bewusst provokant deine Schlussfrage um: Verfolgen Dozierende in (klassischen) Vorlesungen Ziele? Das Ergänzen von „bewusst“ im vorherigen Satz lasse ich zu.

  4. Oliver Tacke on

    Spannender Beitrag. Spannender Kommentar. Muss ich wohl mal eine Blogantwort verfassen. Hmmm… Nicht vor dem Wochenende.

  5. Kristina Lucius on

    @Oliver Hmm, ich kann die Provokation in der Umstellung der Frage nicht erkennen. Jeder Lehrende verfolgt Ziele mit seinem Vortrag. Vielleicht mit unterschiedlicher Gewichtung, aber doch nicht ziellos.

  6. Oliver Tacke on

    Meine Wahrnehmung: Vielleicht als diffuses Ziel der Wissensvermittlung. „Ich erzähle halt was, wie es mir strukturell logisch erscheint. Danach ‚wissen‘ das alle.“ Das war es dann aber oft auch schon.

  7. Kristina Lucius on

    Ja, genau. Wissensvermittlung ist meiner Ansicht nach ein Lehrziel. Dafür brauchen Dozierende die Aufmerksamkeit und Konzentration der Studierenden über einen längeren Zeitraum. Das wiederum sind zwei weitere Lehrziele. Es gibt bestimmt noch mehr.

  8. Oliver Tacke on

    Die Betriebswirthälfte in mir sagt dazu, das sind keine Ziele, sondern Wünsche. Zu unkonkret, das gewünschte Ausmaß ist nicht klar, …

  9. Kristina Lucius on

    Mit dieser Frage hab‘ ich ja wieder ‚was ausgegraben…
    Tenorth und Tippelt (2012) schreiben, dass Lehrziele „oft synonym zu den Begriffen Lernziel und Unterrichtsziel verwendet“ werden (S. 479). Demnach ist ein Lehrziel ein „beabsichtigtes Ergebnis von Lehr-/Lernprozessen in Form von Kenntnissen, Kompetenzen und Einstellungen, die die Lernenden erworben haben sollen“ (ebd.).
    Die Definition im Glossar der Learntec (2012) sieht mir eher nach Lern- statt Lehrziel aus und Keller und Novak (1993) verwenden die Begriffe Lehr- und Lernziele ebenfalls synonym (S. 239ff.).
    Bei Burkard und Weiß (2009) könnte man vielleicht aus der Definition vom Begriff „Lehrplan“ ableiten, dass es sich bei Lehrzielen um „Unterrichtsinhalte, die in einem bestimmten Zeitraum zu lehren sind“ handelt (S. 213).
    Es gibt jetzt mindestens zwei Möglichkeiten: Erstens fasst man Lehr- und Lernziele unter dem Begriff „Vorlesungsziele“ zusammen oder die Ziele werden zweitens weiter aufgedröselt…

  10. Oliver Tacke on

    Sagte ja, da kommen die BWL-Anteile zum Vorschein. Von pädagogischer Seite Lehrziele als beabsichtigte Ergebnisse von Lernprozessen zu bezeichnen, leuchtet mir ein und soll mal als theoretische Minidefinition genügen. Da passt dann aber Wissensvermittlung meiner Ansicht nach nicht rein, und Aufmerksamkeit erzeugen wäre ein Mittel zum Zweck, nicht das Ziel selbst.

    Zudem: Wenn ich einen Lehrenden in der Praxis frage, was seine Lehrziele für seine Vorlesung sind, erwarte ich konkrete Dinge, das Ausmaß (mal gehört, tief durchdacht, komplexe Wertstruktur entwickelt, in 10 Sekunden 100 Meter gelaufen, [ginge auch konkreter, geht mir hier um die Richtung] …) – immer spannend auch mit Blick auf das Assessment, idealerweise das „wann“ (Sofort? Nach der Veranstaltungsreihe? Vielleicht auch noch später?), …

    Ist das zu kritisch oder zu wenig konstruktiv?

  11. Kristina Lucius on

    Nee, nee, das ist genau das, was ich von den Dozierenden wissen will. 🙂

  12. frandevol on

    Ein Lehrender sollte wissen, was er und warum er genau dies lehren will. Das sind aber Entscheidungen über Inhalte und so scheint mir vieles, was du als „Lernziele in Vorlesungen“ verlinkt hast, auch lediglich eine Beschreibung solcher Inhalte zu sein (habe aber nur quer gelesen).
    Lernziele sind kleinteiliger und sollten operationalisiert sein.
    Eine gute Zusammenfassung bieten
    http://lexikon.stangl.eu/2081/lernzieloperationalisierung/ und
    http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/LERNZIELE/Operationalisierung.shtml

    Referendaren und Lehramtsanwärtern wird so etwas monatelang um die Ohren gehauen. 😉

  13. Kristina Lucius on

    Was, wann, warum, wie und womit? Das sind genau die Punkte, die auch ich zum Thema „Lehrziele“ ‚mal gelernt habe. Bis auf eigene Vorlesungsmitschriften aus den 1980er Jahren finde ich jedoch keine (aktuelle und zitierfähige) Quelle dafür.

  14. Bingo | GedanKenSpieLe on

    […] den Zielen der Vorlesung bin ich noch nicht so richtig vorwärts gekommen. Deshalb versetze ich mich in die Situation von […]

  15. […] zu haben. Nachdem ich seit einiger Zeit darüber nachdenke, welche Ziele die Vorlesung hat (z. B. hier), fand ich nun das, schon etwas ältere, Buch „Die Vorlesung. Einführung in eine akademische […]

  16. […] angedeutet. Nachdem ich gefühlt ewig nach den Lehrzielen von Vorlesungen gesucht hatte (z. B. hier), fand ich eine Menge dazu im Artikel von Corinna Hallmann. Mit dem Einsatz von Spielen in ihrer […]


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